beizeiten begleiten – Patientenverfügung leicht(er) gemacht – Mission Leben

Haus An den Platanen, Neu-Isenburg

Mit Patientenverfügungen ist das so eine Sache: Gut, wenn man eine gemacht hat. Schlecht, wenn sie schon in die Jahre gekommen ist und den Anforderungen des neuen Hospiz- und Palliativgesetzes (HPG) im Sozialgesetzbuch nicht mehr genügt. Dann nämlich wird sie oft nicht mehr zur Entscheidung darüber herangezogen, wie ein/e akut oder dauerhaft entscheidungsunfähige/r Patientin oder Patient medizinisch behandelt wird. Deshalb verpflichtet das Gesetz Einrichtungen der stationären Pflege, sich aktiv um die Erstellung rechtsverbindlicher Patientenverfügungen für Bewohner/-innen zu beteiligen. Das Haus An den Platanen hat das in einem noch laufenden Pilotprojekt in die Tat umgesetzt und gehört damit zu den ersten in der Branche.

Zusammenarbeit mit Würdezentrum und beizeiten begleiten

Das Thema Patientenverfügung ist anspruchsvoll und komplex, es braucht absolutes Vertrauen. Oft sind Bewohner/-innen und Bewohner sowie ihre Angehörigen gut informiert, die meisten bringen, wie Thomas Braun, der die Häuser Tabea und Michael in Alzey leitet, berichtet, beim Einzug bereits eine Patientenverfügung mit, die man mit ein paar Klicks im Internet findet. Andere Einrichtungen, wie beispielsweise das Mainzer Martinsstift, informieren und beraten Bewohner/-innen und Angehörige allgemein, verweisen aber auf den jeweiligen Hausarzt bzw. die Hausärztin, wenn es um medizinische Themen geht. Das Thema ist in den Altenpflegeeinrichtungen der Mission Leben sehr wichtig, das spürt man schnell.

Günther Schlott, Leiter des Hauses An den Platanen, hat deshalb Anfang des Jahres die Unterstützung des Würdezentrums in Frankfurt, gesucht. Außerdem hat sich die Einrichtung dem wissenschaftlich begleiteten Projekt „beizeiten begleitenR“ angeschlossen, in das auch das Würdezentrum eingebunden ist. Denn hier wurde wichtige Pionierarbeit geleistet: Gemeinsam mit den Universitäten München und Düsseldorf hat die Initiative beizeiten begleitendie Vorlage für eine Patientenverfügung ausgearbeitet und von Juristen prüfen lassen. Das Ergebnis: Eine rechtssichere und verbindliche Vorlage, mit der ein Mensch seine Wünsche hinsichtlich der medizinischen Behandlung dokumentiert. Mit anderen Worten: Rettungsdienste und Krankenhäuser können sich im Fall des Falles auf diese Angaben verlassen und handeln danach. Bevollmächtigte oder rechtliche Vertreter werden befähigt, die jeweils passende Behandlungsentscheidung zu treffen.

Mitarbeitende zu Zertifizierten Gesprächsbegleitungen geschult

Theoretisch kann man die 25 Seiten der beizeiten begleiten-Patientenverfügung selbst ausfüllen. In der Praxis wäre ein Medizinstudium vorab ganz hilfreich. „Der Laie weiß ja nicht exakt, was ein Wachkoma bedeutet, wie die Prognose aussieht“, erklärt Günther Schlott. Deshalb hat er mit insgesamt sieben Mitarbeitenden eine mehrtägige Ausbildung zur „Zertifizierten Gesprächsbegleitung“ absolviert. Die Gesprächsbegleitungen können jetzt Bewohnerinnen und Bewohner bei der Dokumentation ihrer Wünsche in der Patientenverfügung unterstützen.

An der Schulung teilgenommen haben die ausgewählte Mitarbeitende des Pflege- und Sozialdiensts. Überwiegend Fachkräfte, die sich durch empathische (einfühlsame) und nicht-direktive Kommunikation auszeichnen – mit anderen Worten, Menschen nicht in eine bestimmte Richtung drängen, sondern fragen –, zuhören, versteckte Gesprächsangebote aufgreifen Feedback geben und auch tabuisierte Themen offen ansprechen. Eine davon ist Sozialdienstleiterin Anja Breitenbach: „Wir sind drei Tage intensiv geschult worden“, erzählt sie. „Jede und jeder von uns führt anschließend 20 Beratungsgespräche im Tandem, bei sechs Terminen erhalten wir Supervision. Abschließend gibt es noch Nachschulungstermine.“ Sie fühlt sich gut vorbereitet und hat schon mehrere Beratungen zur Patientenverfügung mit Bewohnern/-innen durchgeführt.

Drei Szenarien

Die Beratungen sind kostenlos. In der Regel sind zwei Termine à 1,5 Stunden nötig. Meistens ist eine Vertrauensperson der/des Bewohners/-in dabei sein; bei Menschen mit Demenz übernimmt die oder der gesetzliche Vertreter/-in das Gespräch, wenn die oder der Bewohner/-in nicht mehr dazu in der Lage ist. Dabei geht es um drei Szenarien: den Notfall, die akute Erkrankung mit ungewisser Prognose (Schlaganfall, Herzinfarkt, schwere Lungenentzündung…) und die dauerhafte Unfähigkeit, selbst zu entscheiden, wie sie z.B. nach einem Schlaganfall oder einer Demenz vorkommen kann. Sie werden ausführlich und verständlich erörtert, damit die jeweilige Person Entscheidungen treffen kann, die ihren individuellen Wertevorstellungen entspricht. Die Entscheidungen werden in der ÄNO (Ärztliche Anordnung für den Notfall) und der Patientenverfügung dokumentiert. Außerdem wird eine Person des Vertrauens als Bevollmächtigte/-r bestimmt – sofern das noch nicht geschehen ist. „Das sind schwierige Themen, das muss man erst einmal verdauen“, sagt Günther Schlott. „Deshalb ist die Pause dazwischen auch sinnvoll.“ Neue Bewohnerinnen und Bewohner werden beim Einzug auf dieses Angebot der Einrichtung hingewiesen, alle anderen werden von Pflegekräften angesprochen. Nicht jeder will sich mit dem Thema auseinandersetzen; in diesen Fällen wird halbjährlich erneut nachgefragt. Bedrängt wird niemand.

Piktogramm am Bett

An jedem Bett klebt jetzt ein kleines Notfall-Piktogramm, das Pflegekräfte darauf hinweist, ob eine Patientenverfügung vorhanden ist. „Bis der Notarzt kommt, muss alles vorliegen. ÄNO und Patientenverfügung – alles ist zentral hinterlegt, jeder bei uns weiß Bescheid, was zu tun ist. Das läuft sehr gut“, sagt Gordana Spasojevic Die Altenpflegehelferin arbeitet schon seit 25 Jahren, hat in ihrem Beruf hat viel gesehen und ist ebenfalls Gesprächsbegleiterin. „Es ist sehr wichtig, dass eine Patientenverfügung gemacht ist“, diese Überzeugung hat sie in all den Jahren gewonnen. Denn sie werden gebraucht – mehrfach im Monat. Wichtig ist auch die Kommunikation aller Beteiligten untereinander, betont Anja Breitenbach. Deshalb bindet das Würdezentrum auch Rettungsdienste, Allgemeinmediziner und Krankenhäuser in der Region ein, schult dort Personal. Ein Netzwerk ist so in den letzten Monaten entstanden. Das ist wichtig, damit Ersthelfer und Krankenhäuser wissen, dass sie sich auf die Dokumente von beizeiten begleitenverlassen können.

Evaluation nach einem Jahr

Noch hat das Thema im Haus An den Platanen den Status eines Pilotprojekts. In dessen Rahmen dürfen die Gesprächsbegleitungen auch anderen Interessenten ein Gespräch zur Patientenverfügung anbieten. Zum Beispiel Familienmitgliedern, Bekannten oder Kollegen/-innen. „Wer aus der Mission Leben Interesse hat, soll sich einfach mit mir in Verbindung setzen, um einen Termin auszumachen“, sagt Günther Schlott. In einem Jahr folgt die Evaluation und Kostenanalyse des Projekts. „Wir werden bis zum Ende dieses Jahres 31 TEUR investieren“, sagt Günther Schlott. „Ich bin im Gespräch mit dem Arbeitsamt, ob sie die Ausbildung unterstützen. Außerdem refinanziert die Krankenkasse einen Stelle – der Stellenanteil ist allerdings vom Gesetzgeber noch nicht festgelegt.“ Bei positiver Bewertung des Projekts kann beizeiten begleitenin alle Altenpflegeeinrichtungen der Mission Leben überführt werden.


Dieser Artikel erschien zuerst in der Intern 2/2017 der Mission Leben.

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